Sardinien Reisebericht
Der Gennargentu Park
Der Gennargentu ist ein unregelmäßiger Gebirgskamm, der sich auf dem Gebiet der Gemeinden Fonni,
Desulo, Aritzo, Arzana und Villagrande befindet und seinen Höhepunkt in einem weitläufigen
Halbkreis etlicher ca. 1800 m hoher Gipfel erreicht. Der höchste ist die Punta La Marmora 1834 m.
Der Gennargentu besteht überwiegend aus Schieferformationen, die der Landschaft einen welligen
Aspekt verleihen und aus der sich zahlreiche Prophyradern erheben.
Über den Talebenen von Oliena und Orgosolo zieht sich eine Bergkette entlang,
die sie majestätisch überragt und sich mit ihnen vereinigt. Schroff ragt sie zur Verteidigung
eines mysteriösen Geheimnisses empor. Hinter ihr liegt der Supramonte, ein altes Gebirge,
wild, von rauher Schönheit und berückender Einsamkeit. Er erstreckt sich in einer ausladenden
Hochebene aus mesozoischem Kalkstein auf dem Gebiet der Gemeinden Oliena, Orgosolo, Dorgali
und Urzulei. Die durchschnittliche Gipfelhöhe beträgt 900 m, während die höchste Erhebung,
der Monte Corrasi, 1463 m erreicht. Die Landschaft ist sehr zergliedert, häufig unterbrochen
von engen Schluchten, imposanten Kalkbefestigungen, weiten Plateaus, tiefen Dolinen sowie
versteckten und geheimnisvollen Klammen. Aufgrund des zerklüfteten Kalksteins, der jeden
Regentropfen schluckt und ihn in enorme unterirdische Stauseen leitet, fehlt jegliches
Oberflächenwasser.
Der Mensch bewohnt den Supramonte seit ältesten Zeiten. In der Grotte Corbeddu (Oliena)
sind bearbeitete Hirschknochen gefunden worden. Untersuchungen legten ihr Alter auf
ca. 13500 Jahre fest - der älteste Hinweis auf menschliche Präsenz in Sardinien.
Desweiteren findet man zahlreiche Zeugnisse aus dem Nuraghenzeitalter, wie die Überreste
der Nuraghen Mereu und Gorroppu sowie die des Dorfes Tiscali.
Später und bis in unsere heutigen Tage hat der Mensch als Schäfer im Supramonte gelebt, von der Rauheit und der
Trockenheit des Landes gezwungen, einer Tätigkeit des reinen Überlebens nachzugehen,
oft mit einfachsten Methoden. Die hohe Unwirtschaftlichkeit dieser Tätigkeit hat zu einer
Entvölkerung des Gebirges geführt, und heute ist der Supramonte eine der wildesten und
menschenleersten Gegenden Europas. Aus diesem Grund stellt er eine unermeßliche Reserve dar,
dazu bestimmt, eine immer wichtigere Rolle unter naturwissenschaftlichen und
touristischen Gesichtspunkten zu spielen.
Einzigartig in Europa stürzt auf einer Länge von 40 Kilometern ein Kliff in die Tiefen
eines Meeres hinab, das sich mal in ausgeprägten Blautönen, mal in smaragdgrün und ein
andermal von feinen Nuancen gezeichnet zeigt. Oft wird es unter den Peitschenhieben des
Nordostwindes mit schäumender Gischt bedeckt; da und dort eröffnen sich kleine, irreale
Buchten mit schneeweißem Sand, die einem Traum entronnen zu sein scheinen. Das ist die
Küste des Golfes von Orosei. Das Küsteninnere hat die gleiche kalkhaltige Oberfläche und
starke landschaftliche Ähnlichkeit mit dem Supramonte, dessen natürlichen Ausläufer zum
Meer es darstellt.
Die charakteristischen Pflanzenlandschaften des Gennargentu
verändern sich mit zunehmender Höhe. Auf den niedriger
gelegenen Hängen und in den Talsohlen finden wir kleine
Steineichenwaldsäume; es sind dies die Überreste des antiken
Steineichenwaldes, der das gesamte Gebirge umgab und im
Zuge der großen Rodungen des vergangenen Jahrhunderts
zerstört wurde. Weiter oben treffen wir die Stieleichen und
den Ahorn. Die beiden letztgenannten färben im Herbst ihre
Blätter rötlich und prägen auffallend den Charakter der
Gebirgslandschaft. Hier finden wir außerdem kleine
Wacholderbaumansammlungen, dichte
Stechpalmenformationen sowie vereinzelte Eiben. Schließlich
die Gipfel: Sie sind das Königreich der Dauergräser und der
Bergsträucher (Prunuspolster, Zwergwacholder, Korsischer
Ginster) sowie wertvoller Endemismen (Santolina insularis,
Aquilegla nugorensis) und ausschließlich hier vorkommender
Arten wie einer Distel (Lamyropsis microcephala), die nur in
kleinsten Kolonien anzutreffen ist.
Der in pflanzlicher Hinsicht wichtigste Aspekt des
Gennargentu ist der Steineichenwald. In einigen Gegenden
(Sas Baddes, Su Lidone) ist er niemals abgeholzt worden.
Diese Gebiete sind wahre Naturwallfahrtsstätten mit uralten
säulenförmigen Bäumen, deren runzlige Stämme oft von
Blitzeinschlägen eingeritzt sind. Einige sind zu Boden gefallen
und werden dort von den Pilzen abgebaut, während
ringsherum neue wachsen. In diesen Wäldern hat man noch
die Möglichkeit, einen vollständigen Naturkreislauf ohne die
durch menschlichen Eingriff verursachten Veränderungen
zu beobachten.
Eine Erwähnung verdienen auch die Wildblumen, die mit
ihren aggressiven und auffälligen Farben die trostlosesten
Höhenzüge beleben. Der Ehrenplatz gebührt der zarten und
wunderschönen Päonie deren Blüte den Frühling ankündigt.
m Sommer bietet der blühende Oleander ein Schauspiel
ganz besonderer Art, er verleiht der windungsreichen Strecke
der "codule" (Geröllbetten eines Baches) einen rosafarbenen
Anstrich.
Eine so überaus natürliche Umgebung kann nicht anders, als eine reiche und verschiedenartige
Fauna zu beherbergen. Der charakteristischste Vertreter ist der Mufflon, der in großen Herden
das Gebirge bewohnt. Sehr verbreitet sind auch das Wildschwein und der Fuchs. In den Wäldern
leben die Wildkatze, der Marder und der Siebenschläfer, während auf den Lichtungen das
Felsenhuhn und der Hase anzutreffen sind. Das Gebirge lockt viele Zugvögel zur Rast an,
wie die Hohltauben, die äußerst zahlreich in den eichelreichen Jahren eintreffen.
Die Greifvögel sind mit verschiedenen Arten auf dem gesamten Gebiet vertreten. In den
Steilwänden und den schroffen Schluchten nistet der Steinadler, häufig in Begleitung des
Wanderfalken. Der Mäusebussard und der Turmfalke jagen im offenen Raum, während der Wald
die bevorzugte Umgebung für Sperber und Habicht ist. Ausgesprochen selten ist dagegen der
Gänsegeier geworden, der sehr verbreitet war, als das Gebirge noch von den Herden bevölkert
war, von deren Aas er sich ernährte. Entlang der Küste finden zwei anderswo sehr seltene Arten
Zuflucht: Die Korallenmöwe, die einzige ausschließlich im Mittelmeerraum vorkommende Möwe,
und der Eleonorenfalke, der genau im Golf von Orosei eines seiner wichtigsten Nistgebiete hat.
Und schließlich die Mönchsrobbe. Von dem sagenumwobenen "Bue Marino" ("Secochse", volkstümlicher
Name der Mönchsrobbe) sind noch zwei oder drei Exemplare übriggeblieben, die vielleicht nicht
mehr in der Lage sind, sich zu vermehren. Aber die Vorstellung, daß es ihn noch gibt, ruft stets
eine starke Gemütsbewegung hervor und begleitet den Schiffer, der in der Hoffnung auf die gleich
unwahrscheinliche Begegnung unruhig das Meer beobachtet.
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